Der Totengräber

 

 

Ich weiß nicht mehr genau, wie er hieß, sein Name ist mir entfallen, ersatzweise nenne ich ihn einfach Günther.

 

Günther war Totengräber, das war seine Berufung und seine Bestimmung. Er kannte kaum etwas über diese Profession hinaus – die Totengräberei war schlicht sein Leben, dafür opferte er sich auf, dafür existierte er.

 

Zugegeben: Er war ein ziemlich hässlicher Kerl. Auch die Tatsache, dass er immer, überall und ausschließlich nur perfekt sitzendes, schwarzes Zeug trug, konnte nicht über seine eigentliche Hässlichkeit hinwegtäuschen.

Seine äußere Erscheinung gehörte neben seiner Berufung zum Totengräber zu den wichtigsten Dingen in seinem Leben: Wo immer er auftauchte, glänzte er mit seiner erlesenen Kleidung, und egal, was er unternahm, er warf sich stets in Schale. Wie gesagt: er trug schwarz allenthalben, hier und da von orangefarbenen Accessoires kontrastiert.

 

Günther, der Totengräber, vermied nach Möglichkeit jeden Kontakt zu anderen Individuen außerhalb seines Tätigkeitsbereiches. Er war ein Einzelgänger, einsilbig, äußerst still und zurückhaltend. Manche sagten über ihn, er sei feige und habe kein Rückgrat. Auch das ist möglich. Zumindest ging er jedem lebenden Wesen aus dem Weg, das auch nur einen Bruchteil größer war als er selbst und nichts mit seiner allgemeinen Tätigkeit zu tun hatte.

 

Als Einzelgänger konnte er es sich leisten, ein Parfum zu verwenden und dessen Geruch um sich herum zu verbreiten, ein Parfum, das von der breiten Mehrheit niemals geduldet worden wäre: Es roch herb und stechend in der Kopfnote, gleichzeitig säuerlich-scharf und ein wenig süßlich. Dieser Duft war auf eine sehr eindeutige Weise insgesamt so ekelhaft, dass einem die Luft hätte wegbleiben können bei der allergeringsten Wahrnehmung dieses besonderen Geruches. Empfindlicheren Nasen hätte es Brechreiz bescheren können, wenn diese denn in seine Nähe geraten wären. Günther scherte sich um diese Dinge nicht, im Gegenteil: er war stolz auf seinen Gestank, den er selbst natürlich für einen exklusiven und betörenden Duft hielt.

 

An jenem Frühlingstag, um den es geht, fühlte sich Günther plötzlich sehr kräftig: Einerseits spürte er gewisse Säfte in sich wallen, was mit seiner schon länger nicht mehr ausgeübten Sexualität zusammenhing, andererseits hatte er Nachricht bekommen von einem gewaltigen, wirklich unaufschiebbaren Job. Und irgendwie hoffte er, beides heute in Einklang bringen zu können, das Drängen der Säfte in ihm und den Job. Und wenn eins feststeht, dann ist es die Tatsache, dass Günther wirklich eine Nase für solche Dinge hatte.

 

Der Drang wurde unabweisbar, jetzt hielt ihn nichts mehr. Er überflog noch kurz eine ältere Zeitung, die so dalag, dann war er fort und hinaus. Aus dem Äther wurden ihm genaue Informationen zu dem Ort übermittelt, wo der Job abzuwickeln war.

 

Er stand nicht auf Frischfleisch, eher auf die älteren Semester. Diese hatten wirklich das Zeug, ihn anzumachen. Und diese Leiche, bei der er nun angekommen war, nahm ihm beinahe die Sinne. Als er die Mundhöhle des bereits in Verwesung übergegangenen Kadavers in Augenschein nahm, spürte er, wie sich sein Unterleib regte. Noch ehe er weitere Untersuchungen an der Leiche vornehmen konnte, sah er SIE, dieses Weib, wie sie plötzlich hinter dem von Maden zerfressenen Schädel der Leiche auftauchte wie aus dem Nichts.

Und er hastete wie besinnungslos zu ihr und stürzte sich auf sie, völlig benommen von seiner Lust. Er spürte, was da unten mit ihm geschah, was seine Geilheit da an- und aufrichtete. Hastig kramte er dieses hervorragende Teil schnell aus seiner schwarzen Verpackung hervor und dann er nahm sie. Von hinten, zielsicher, wie immer, und er verharrte minutenlang in ihr.

 

Und dann hielten sie Mahl, maßlos und üppig, eine einzige Völlerei.

 

Günther verschwand unmittelbar danach, ließ sie allein und landete in seiner noch andauernden Benommenheit irgendwann mitten in der Fußgängerzone. Und hier, auf Platten aus Granit, beendete Günther, der Totengräber, sein Leben mit dem leise knackenden Geräusch seiner berstenden Käferpanzer, die unglücklicherweise unter den Absatz eines Passanten geraten waren, während an einem anderen Ort eine Totengräber-Käferfrau bereits fleißig Eier ablegte in den leeren Augenhöhlen einer Kaninchenleiche.

 

 

(c) Rainer Bendt